Das Leben in der Fremde

Willkommen zu meinem zweiten Blog also. Wie bereits angekündigt, wird es um meine Gastmutter Sandra gehen, um den Alltag und um die Schule. Macht es Euch gemütlich.

 

 

1. Teil – Sandra

 

Ich kam also in Fredericton an. Sandra hab ich sofort gesehen, aber sie hat mich nicht erkannt. »At the picture Manon showed me you wear sunglasses«, erklärte sie lachend. Auf dem Weg nach Grand Falls redeten wir über dies und das (auf Englisch freilich; erst jetzt beginnen wir, mehr französisch zu sprechen) und über jenes, noch nicht aber über dasjenige welche, das sollte erst später Thema werden. Es dunkelte, und als wir in Grand Falls ankamen, konnte ich nur Schemen ausmachen. Anderntags, nach einem erstaunlich erholsamen Schlaf, fuhren wir in die Stadt, um Lebensmittel und Winterkleidung zu kaufen. Über eine Brücke ging es, die sich über ein längliches Tal spannte, und ich sah den Wasserfall, der der Stadt ihren Namen gibt. »In winter it’s frozen«, erklärte Sandra, »you will see it in spring – beautiful.« Doch auch die vergletscherte Tallandschaft entbehrte nicht einer berührenden Schönheit.

Das Haus ist groß – so groß, dass Sandra es nach meinem Aufenthalt verkaufen will, denn seit sie ihren Mann im Oktober an die samtschwarze Ruh verloren hat, lebt sie dort allein mit ihren zwei Katzen Pichou und Pitoune. Wahre Wonneklöße, die beiden. Pichou, ein Männchen, lässt sich sehr gerne streicheln (und auch mal in den Sessel auf den Insassen fallen), ist schwarz-weiß und trägt etwas weniger Katze mit sich herum als Pitoune. Und mit Pichou habe ich herausgefunden, dass Katzen tatsächlich den roten Punkt von Laserpointern jagen. Pitoune ist sich noch zu fein, von mir gestreichelt zu werden, bettelt aber bei jeder Gelegenheit nach Essen.

Alles hier im Haus ist überaus behaglich und leger. Und vor allem aufgeräumt. Ihr macht Euch ja keine VORSTELLUNG: Alle Flächen sind im Prinzip FREI, das hab ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Und ich habe das sichere Gefühl, dass die Energie hier sehr frei und klar fließt, wie ein ungetrübter Bach.

 

Womit wir bei der Gefühlsebene wären. Ja, es geht mir ausgezeichnet. Nein, Heimweh ist mir fremd. Es fühlt sich an, als wäre ich hier nun schon seit Monaten und hätte nie etwas anderes gekannt als das verschneite Kanada (obwohl ich immer noch gelegentlich über die wirklich TITANISCHEN Schneehaufen staune; mehr als einmal habe ich Sandra gefragt, ob darunter auch wirklich keine Erdhügel liegen).

Womit wir nun bei Sandra wären. Als ich im Oktober erfuhr, dass für mich eine alleinwohnende Gastmutter ausgewählt worden war, enttäuschte mich das zuerst ein bisschen, weil ich realisierte, dass ich weniger Französisch mitbekommen würde, wenn es keine Tischgespräche und Konsorten zwischen den Familienmitgliedern gäbe. Nun bin ich durchaus froh, hier bei Sandra zu sein, denn sie hat sich als Seelenverwandte herausgestellt. Eine unheimlich spirituelle Person, die mit dem Verlust ihres Gatten auf die bestmögliche Weise umgegangen ist. Sie hat ihren gesamten Lebensstil geändert: ihre Ernährungsweise, ihr Zeitmanagement, ihre Lebenseinstellung. Ich spüre, wie gesund sie ist, wie frei ihre Energie fließt. Wir hatten ganz ungezwungene Gespräche über das Leben, das Universum und alles. Ihre Art und Lebensweise hat einen guten Einfluss auf mich, das spüre ich. Wir erinnern uns gegenseitig daran, dass wir einen Alltag in Ruhe und nicht in „Rush“ verbringen wollen. So habe ich das Gefühl, noch mehr Zeit als in Deutschland zu haben (obwohl ich fast eine Stunde später aus der Schule komme).

Ich bin also, um es zusammenzufassen, in guten warmen Händen.

 

 

2. Teil – Alltag und Schule

 

Ein Wort auch zu diesem Thema, in chronologischer Reihenfolge:

Mein Wecker grüßt mich um 6:20 Uhr mit den lieblichen Klängen des „Coultergeist“, ich dusche, gehe hinunter in die Küche, wo mich Sandra (eine Frühaufsteherin) begrüßt. Ich mache mir Frühstück (neben einem Toast griechischen Joghurt mit Granatapfelkernen, Bananenscheiben und Honig), putze meine Zähne und fahre mit Sandra zur Schule (denn sie arbeitet dort als Sozialarbeiterin). Dann habe ich eine halbe Stunde (meine erste Erfahrung mit einem Spind) bis zum Beginn meiner ersten Unterrichtsstunde, das ist immer Kochen. Denn der Stundenplan dort funktioniert gänzlich anders als der deutsche: Man hat fünf Stunden insgesamt, jeden Tag die gleichen Fächer, nur in wechselnder Reihenfolge. Ich belege die Kurse Kochen, Holzwerkstatt, Mechanik (die sogenannten Shop-Classes), Französisch und Englisch. In den Shop-Classes war es bisher nur theoretisch (Historisches, Regeln in der Werkstatt etc.), Englisch ist mein Lieblingsfach (nicht nur, weil ich alles verstehe, sondern auch wegen des Lehrers; zurzeit lesen wir ein Buch). Wo Mathe, Natur- und Gesellschaftswissenschaften bleiben? Die kanadischen Schüler bekommen nach einem Semester neue Kurse, sodass sie insgesamt zehn Fächer pro Schuljahr haben (oder neun; Französisch ist gewiss durchgängig).

Montags wird in der ersten Stunde die kanadische Nationalhymne gesungen (die Melodie gefällt mir ausgesprochen gut). Nach der dritten Stunde hat man sechzig Minuten fürs Mittagessen (das hier nicht schlecht ist). Und heute habe ich begonnen, die Badminton-AG zu belegen.

Außerdem gibt es gelegentlich Ausfall wegen Glatteis.

Mit dem Französisch geht es von Tag zu Tag besser. Viel zu sprechen traue ich mich noch nicht (hier spricht Gott sei’s geklagt jeder Englisch), doch das Lese- und Hörverständnis bekommt sein gebührendes Training.

Nach der letzten Stunde muss ich mich beeilen, um den Schulbus zu bekommen. Und den restlichen Tag verbringe ich damit, meinen Interessen zu frönen, bis tief hinein in die Nacht. Das Essen daheim ist auch neu, denn es läuft folgendermaßen ab: Bleibt etwas übrig vom Gekochten (nur zum Frühstück gibt es Brot), wird es in den Kühlschrank gestellt und am nächsten Tag in der Mikrowelle aufgewärmt. Ich hatte keine Ahnung, wie PRAKTISCH Mikrowellen sind.

Und ich vergaß, das Klavier zu erwähnen. Gleich am ersten Montag fuhren wir zum Musikgeschäft, um das bestellte E-Piano abzuholen. Als ich Sandra ein kleines Privatkonzert spendierte, war sie zu Tränen gerührt. Der Klang des Pianos ist die achtzig Dollar pro Monat wahrlich wert.

 

Die Menschen in der Schule sind sehr angenehm. Gleich am ersten Schultag wurde ich von ein paar Mädchen eingeladen, mich zu ihnen zu setzen, und ich habe ein paar Freundinnen, mit denen ich die Mittagessenszeit verbringe. Am zweiten Schultag luden sie mich ein, zu Kentucky Fried Chicken mitzukommen, wo ich mein erstes Poutine probierte (ein typisch kanadisches Fast-Food: Pommes mit geschmolzenen Käsewürfeln und einer braunen Sauce).

 

Auf der Bedeutungsebene will ich nochmal betonen, wie viel mir dieser Auslandsaufenthalt bedeutet. Auch meine Kreativität erfährt einen neuen Aufschub, ich fühle mich inspiriert wie noch nie zuvor (weshalb es so lange gedauert hat, bis dieser zweite Blog erschienen ist – um auch die Metaebene nicht unbedient zu lassen – pardon an all Euch Wartende).

 

 

So, ich habe jetzt alle drängenden Fragen meiner Mutter beantwortet und noch etwas mehr. Wenn Euch noch etwas auf den Nägeln brennt: Ich sammle Eure Fragen gerne für einen dritten Blog, nach dem es erstmal für eine Weile Sendepause geben wird.

 

Schmunzel ^^

Robin

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Kommentare: 4
  • #1

    Thomas (Dienstag, 12 Februar 2019 07:48)

    Wie leichtfüßig (oder leichthändisch? :) ) du mal eben so all die neuen Eindrücke und Erkenntnisse (bzw. eben die, die du erzählen magst) hier auf die Seite wirfst, macht mir viel Lesespaß. Und ich beneide dich gerade ein bisschen, schon alleine wegen der Schneeberge. :)

    Das soll ja nun keine Literaturkritik werden, ich will zum Text nur noch sagen, dass mich die "samtschwarze Ruh" (ob die Wendung von dir stammt, weß ich gar nicht, nehme es aber an) sehr berührt hat.

    So ein spontaner Wunsch meinerseits: Mir scheint dieses Schulsystem sehr interessant, zum einen wegen des halbjährlichen Wechsels, zum anderen, weil da ja offensichtlich viel Wert auf so ganz praktische DInge gelegt wird. Hierzulande scheint sich ja, soweit ich da Einblick habe, nicht wirklich etwas daran geändert zu haben, dass vorrangig Wissen in Köpfe gestopft werden soll. Soweit du dazu im Laufe der Zeit etwas sagen kannst, würde mich interessieren, was das mit den Menschen (vor allen den Schülern, aber vielleicht ja auch den Lehrern) macht. Ist Schule trotzdem etwas, was man so abreißt, oder ist da insgesamt mehr Freude spürbar?

    Einen Alltag in Ruhe und nicht in „Rush“ :), das wünsche ich dir für die ganze Zeit dort und hoffentlich auch danach. Und vor allem viel Spaß.

  • #2

    Doreen Westphal (Dienstag, 12 Februar 2019 09:01)

    Super, das mit der Seelenverwandtschaft, lieber Robin. Was für ein Zufall ... oder Glücksgriff ... oder beides ... Wer da wohl geholfen hat? Ich freue mich für dich.
    UND: Auch ich liiiiiebe freie Flächen! Denn sie machen genau das, was du beobachtet hast: alles ungestört fließen lassen: die täglichen Abläufe, aber auch die Gedanken.
    Alles Gute bis bald
    Doreen Westphal

  • #3

    David (Dienstag, 12 Februar 2019 19:26)

    Hallo, Robin!
    Ich habe mal wieder beim Lesen deines Blogs mehrmals herzlich aufgelacht und gemerkt, dass ich deine skurrilhumorvolle Art zu schreiben und zu reden sehr vermisse.
    Hier eine Frage, die sich Mama, Papa und mir stellte: Ist deine Schule eine auch in Kanada ungewöhnliche, oder ist das Schulkonzept überall dort so?
    Liebe, treue Grüße David!

  • #4

    Yaouoay (Mittwoch, 13 Februar 2019 18:56)

    Hei, Ihr Lieben!

    Danke für Eure Worte. ^^
    Eure Fragen habe ich mir aufgeschrieben.
    @Thomas: Die "samtschwarze Ruh" stammt aus meiner unveröffentlichten Parabel "Bis nach Erebur" (s. Literatur).
    @Westphal: Alles passiert aus einem Grund, davon bin ich überzeugt, genauso Sandra.
    @David: Fühl Dich gedrückt.

    Liebstes aus der Fremde
    Robin